Tyskertøsene - Tyskerjentene

Die Strafe und die Entschuldigung.

 

Sie waren hässlich, ansteckend und dumm.

Und sie waren auf alle Fälle nicht verliebt.

 

"Tyskerjentene" oder "Tyskertøsene" - die "Deutschenmädchen" oder Deutschenflittchen", die sich dem deutschen Feind eingelassen hatten.

 

Es sollte 73 Jahre dauern, bis sich die norwegische Regierung im Oktober 2018 offiziell bei diesen Frauen entschuldigte.

 


Übersetzung des Artikels "Tyskertøsene" - Straffet - og unnskyldt.

Erschienen als ein Kilden (Geschlechterforschung Norwegen) Artikel am 30.Oktober 2018

 

Originalartikel einsehbar hier.

Autorinnen: Trine Rogg Korsvik und Kristin Engh Førde

 

Übersetzung mit Genehmigung der Autorinnen.


Unter Zwang wurden ihnen die Haare rasiert. Sie wurden gedemütigt und interniert.  "Tyskerjentene" oder "Tyskertøsene" - die Deutschenhuren, die sich dem Feind eingelassen hatten. (Foto aus Originalartikel)
Unter Zwang wurden ihnen die Haare rasiert. Sie wurden gedemütigt und interniert. "Tyskerjentene" oder "Tyskertøsene" - die Deutschenhuren, die sich dem Feind eingelassen hatten. (Foto aus Originalartikel)

 

2007 schrieb Kilden über den Rachedurst gegenüber norwegischen Mädchen und Frauen, die während der deutschen Besetzung Norwegens 1940–1945 Beziehungen zu deutschen Soldaten eingegangen waren. In dem Artikel "Einfach Liebe" (siehe unten) sprach darin Terje A. Pedersen über seine Masterarbeit, und wie die sogenannten "tyskerjenter" unmittelbar nach dem Krieg hier in Norwegen behandelt wurden.

 

Pedersen hat anhand von Archivstudien aus staatlichen Haftlagern, sowie Gerichtsdokumenten und Leserbeiträgen nachweisen können, wie die Behandlung dieser Frauen in Norwegen zum Ausdruck gebracht wurde.

 

Am bekanntesten sind dabei natürlich die "Haarschneideaktionen", bei denen ein Mob an Norwegern diesen Frauen und Mädchen in aller Öffentlichkeit die Haare abrasierte. Dies war jedoch bei Weitem nur ein Bruchteil dessen, was geschah.

 

Die "Rache" der norwegischen Behörden geht nämlich  einen Schritt weiter.

 

Tausende von Frauen wurden von der norwegischen Regierung in Haftlagern unter dem Vorwand inhaftiert, dass sie die Frauen vor eben diesen Demütigungen schützen wolle. Gleichzeitig konnten die Frauen daran gehindert werden können, sexuell übertragbare Krankheiten zu verbreiten. Ohne gesetzliche Grundlage oder ein ausgesprochenes Urteil wurden somit viele Frauen mehrere Monate in Lagern unter Gefängnisbedingungen festgehalten.

 

Wie es in diesen aussah, widerspiegelt dieser Originalfilm der im Internierungslager auf Hovedøya (Insel vor Oslo) spielt:

 

 

Der zerschlagene Mythos 

 

Über die "Deutschenflittchen" kursierten viele Mythen. Solche, dass sie weniger begabt, ansteckend oder gar Prostituierte waren, welche natürlich kaum auf Tatsachen beruhten. Es konnte wohl kaum sein, dass es ganz normale Mädchen und Frauen, die sich einfach in die falschen Männer verliebt hatten?

 

Während die Frauen, die deutsche Soldaten heirateten, deportiert wurden und ihre norwegische Staatsbürgerschaft verloren, erhielten die 28 norwegischen Männer, die deutsche Frauen heirateten, die bei der Wehrmacht angestellt waren, hingegen nie eine Strafe.

 

Ein weiterer Mythos, den Pedersen entkräften will, ist, wie viele es von diesen "tyskerjenter" gab. Unmittelbar nach dem Krieg schätzten die Behörden, dass 30-50.000 Mädchen und Frauen "Verkehr mit" Deutschen gehabt hatten. Diese Zahl wird auch heute immer noch als offiziell angesehen.

Pedersen aber, der auch ausgebildeter Mathematiker ist, hat berechnet, dass es weit mehr von diesen "tyskertøsene" gegeben haben muss - bis zu 100.000, was etwa 10 bis 15 Prozent der Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren entspricht.

 

Es ist dabei wichtig  zu erwähnen, dass es während des Krieges, ungefähr genau so viele deutsche Soldaten gab wie junge Männer in Norwegen. Diese lebten oft in der Nähe der lokalen Bevölkerung.

 

Die Sexualität von Frauen als nationales Thema

 

Ein dritter Mythos besagt, dass das erzwungene Abrasieren der Haare eine sehr häufige Bestrafung war. Pedersen hat jedoch berechnet, dass nur 5 Prozent der "Deutschenflittchen" davon betroffen waren. Diese Art der Bestrafung hatte hingegen eine starke symbolische Bedeutung, da sie mehr als ein geschlechtsspezifischer Reinigungsprozess fungierte.

 

Es waren eben nur die verdächtigen Frauen, nie die Männer, die diese Strafen erleiden mussten.

  

Während die Frauen, die deutsche Soldaten heirateten, deportiert wurden und ihre norwegische Staatsbürgerschaft verloren, erhielten die 28 norwegischen Männer, die deutsche Frauen heirateten, die bei der Wehrmacht beschäftigt waren, keine Strafe.

 

Auch norwegische Unternehmen, die vom Handel mit den Deutschen profitiert hatten, wurden nie zur Rechenschaft gezogen.

 

In einem Fall aus dem Jahr 2005 erklärt Kjersti Ericsson die starken Reaktionen auf die "Deutschenflittchen" wie folgt:

 

"Die Vorstellung, dass Frauen der Nation dienten, sowohl sexuell als auch durch die Rolle der Mutter, war weit verbreitet.  Frauen hatten somit für das Überleben der Nation, sowohl biologisch als auch kulturell, eine entscheidender Bedeutung. Ihre Körper und ihre Sexualität waren somit eine nationale Angelegenheit."

 

Die von diesen "Deutschenflittchen" geborenen Kinder erhielten im Jahr 2000 eine offizielle Entschuldigung des norwegischen Premierministers für die von ihnen erfahrene Behandlung durch den norwegischen Staat.

 

Es war schon damals, im Jahre 2000, an der Zeit, dass auch ihre Mütter diese erhielten.

 

Diese Entschuldigung sollte jedoch noch 18 Jahre dauern und erfolgte erst am 18. Oktober 2018.

 


Einfach Liebe

 

(Geschrieben von Kristin Engh Førde, veröffentlicht am 11. September 2007) 

 

"Prostituierte." «Verräter». «Infektiös». «Minderwertig».

 

Laut der Nachkriegsmythen über die sogenannten "tyskerjente" waren sie moralisch korrupte, minderwertige Menschen. Der Historiker Terje A. Pedersen glaubt hingegen, dass die meisten von ihnen einfach nur ihre Liebe gefunden haben.

 

Ja, Mädchen, du warst die Schlimmste von allen. Auf deinem Schädel sollte ein Hakenkreuz eingebrannt werden. "

 

Dies schrieb "X" in einem Leserbrief im Arbeiderbladet am 29. Mai 1945.

 

In den Wochen nach der Befreiung von der deutschen Besatzung war dieser anonyme Briefeschreiber nicht allein in seinem Durst nach Rache an den "Tyskertjentene", norwegische Mädchen, die während der Kriegsjahre eine Beziehung zu deutschen Soldaten eingegangen waren.

 

Die "tyskerjentene" hatten den klassischen Verrat begangen: mit dem Feind ins Bett zu steigen. Der Hass gegen sie war in weiten Teilen der Bevölkerung groß, und viele waren der Ansicht, dass diese Mädchen und Frauen für diesen Verrat leiden sollten.

 

Dies recherchierte Terje A. Pedersen, der seine Masterarbeit  in dem Thema "Die Tyskerjentene in Norwegen - Reaktionen und Haarschneideaktionen von 1940-46" geschrieben hat. 

 

Bestrafung

 

«[…] Die Deutschenflittchen, diese verrohten, berechnenden, unsozialen Individuen, die sich von den deutschen Kriegshengsten aushalten liessen. […] Wer wäre passender, als genau diese Frauen, die mit ihnen ins Bett gestiegen sind, um sie mit dem Mist dieses 'Herrenvolkes' zu bewerfen. Diejenigen Frauen, die von ihrem Geld, ihrem Essen, ihren Getränken und ihren Zigaretten gelebt haben? " (Arbeiderbladet 27. Juni 1945)

 

Die in diesem Leserbrief vorgeschlagene Behandlung der Frauen war nicht von ungefähr und wurde tatsächlich an einigen Orten in Norwegen umgesetzt.

 

Die rund 100.000 "Deutschenflittchen", die eine Beziehung zu einem Deutschen eingegangen waren, bemerkten diese Wut der Menschen auf verschiedene Arten und Weisen.

 

Am bekanntesten sind dabei wohl die "Haarschneideaktionen", bei denen ein Mob den verdächtigen "tyskerjenter" die Haare abschneidete - dies häufig in aller Öffentlichkeit. Obwohl dieses erzwungene "Haareschneiden" im Nachhinein das Symbol der Behandlung und Aufruhe gegen diese "Deutschenflittchen" werden sollte, so waren es nach Berechnungen von Pedersen nur eine kleine Minderheit der Mädchen die solchen Aktionen zum Opfer fielen.

 

"Es besteht kein Zweifel, dass Rache ein wichtiges Motiv für die Internierung war."

 

Wahrscheinlich waren nämlich weniger als fünf Prozent der "tyskerjentene" von diesen Aktonen betroffen. Dass diese jedoch so gut in Erinnerung blieben, liegt wahrscheinlich eher an ihrer symbolischen Bedeutung als eine Art geschlechtsspezifischer Reinigungsprozess, sagt Pedersen.

 

Das erzwungene Rasieren des Kopfes war die Rache der Bevölkerung.

 

Die Behörden distanzierten sich offiziell von diesen Maßnahmen. Gleichzeitig wurde aber oft betont, dass diese Wut "verständlich" sei.

 

"Selbst als diese die Mädchen rasierenden Mobs vor Gericht gebracht und verurteilt wurden, wurde im Urteil betont, dass das Gericht vollstes Verständnis hat, dass diese Handlungen verständlich sind," so Pedersen.

 

Die Rache der Behörden

 

"Die Behandlung der "tyskertøsene" durch die Behörden im ersten Jahr nach der Befreiung muss aber auch als eine Form der Rache angesehen werden," so Pedersen.

 

Der Historiker Terje Andreas Pedersen hat das Buch "Vi kallte dem Tyskertøser - Wir nannten sie deutsche Huren" geschrieben, das 2014 veröffentlicht wurde. 
Der Historiker Terje Andreas Pedersen hat das Buch "Vi kallte dem Tyskertøser - Wir nannten sie deutsche Huren" geschrieben, das 2014 veröffentlicht wurde. 

 

 

 "[Es] wird ein schrecklicher Preis sein, den die Frauen für den Rest ihres Lebens zu bezahlen haben, welche die Deutschen nicht abgewiesen hatten ", warnte Toralv Øksnevad, auch bekannt als "The Voice of London", während des Krieges über den BBC-Radiosender.

 

Obwohl eine Beziehung zwischen norwegischen Frauen und Deutschen Soldaten rechtlich nicht verboten war, so war diese Aussage Øksnevads nicht nur eine leere Versprechung. Tausende, vermutlich bis zu 14.000 mutmaßliche "tyskerjentene" wurden zwischen Mai 1945 und April 1946 in staatlichen Internierungslagern eingesperrt. Viele von ihnen blieben monatelang in Haft.

 

Die "Deutschenhuren" wurden dabei aufgrund von zwei sogenannten "vorläufigen Vereinbarungen" und "vorübergehenden Gesetzen" inhaftiert. Eine Taktik, die als "Polizeianordnung" bezeichnet wurde, bot die Möglichkeit, die Frauen festzunehmen, um sie damit vor dem Mob schützen zu können. Die zweite, "Gesundheitsanordnung" genannt, liess die Inhaftierung der "tyskertøsene" deswegen zu, um damit die Übertragung sexuell übertragbarer Krankheiten durch sie einzudämmen.

 

Offiziell und rechtlich gesehen war die Inhaftierung eigentlich keine Strafe. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass Rache ein wichtiges Motiv für diese Internierung war.

 

Dies ist auch unverkennbar in der Sprachwahl der damaligen Zeitschriften: Hier werden die internierten Frauen oft als "Gefangene" und die Lager als "Gefängnisse" oder "Gefangenenlager" bezeichnet, sagt Pedersen.

 

"Wenn ich auf die Einzelfälle eingehe, ist klar, dass die Anordnungen oft ein reiner Vorwand für die Verhaftung der "tyskerjentene" waren," sagt Pedersen.

 

Er fand in seiner Recherche nur sehr wenige Beispiele deutscher Mädchen, die das Bedürfnis nach Schutz jemals zum Ausdruck gebracht hatten.

 

Moralische Ansteckung

 

Auch das Infektionsrisiko sexuell übertragbarer Krankheiten durch die "Deutschenflittchen" ist nachweislich deutlich übertrieben. Nur 20 Prozent der Frauen, die im staatlichen Internierungslager für Frauen auf Hovedøya (nahe Oslo) ankamen, waren mit sexuell übertragbaren Krankheiten infiziert. Zugegeben, einige von ihnen hatten vor ihrer Ankunft eine Behandlung erhalten. Im Lager Hovelåsen (nahe Kongsvinger) infizierten sich 20 Prozent der Frauen, die Hälfte von ihnen im letzten Jahr des Bestehens des Lagers.

 

Es hätte ausgereicht, mit einem Deutschen in einem Café gewesen zu sein, um als ansteckend zu gelten.

 

"Obwohl die Angst vor einer Infektion auf einer statistisch nachweislichen Zunahme sexuell übertragbarer Krankheiten während des Krieges beruhte, gibt es viele Hinweise darauf, dass es die moralische Infektion durch diese "unsittliche" Frauen war, die am meisten gefürchtet wurde", kommentiert Pedersen.

 

"Die Propaganda zur Infektionskontrolle passt dabei gut zu den Mythen, den die "tyskertøsene" über sich ergehen lassen mussten. Sie waren Prostituierte und moralisch anstössige Frauen."

  

Eine andere weit verbreitete Vorstellung war, dass die "tyskerjentene" dumm waren, was einige Fachleuten tatsächlichbelegen wollten.

 

Doktor Augusta Rasmussen führte zum Beispiel eine Studie über das Intelligenzniveau von 310 Frauen durch, die auf Hovedøya interniert waren. Ihre Schlussfolgerung war, dass etwas mehr als die Hälfte von ihnen minderbegabt war und dass nur acht Frauen normal intelligent waren.

 

Der Direktor des Gaustad-Krankenhaus Ødegård gab sogar an, dass unter den "Deutschenmädchen" überproportional viele minderbegabte, unsoziale oder geisteskranke Menschen sein.

 

"Über die "tyskerjentene" wurde auch gesagt, dass sie hässlich seien.

 

Generell war es  wichtig, diese Mädchen als "unterste Schicht" und minderwertiger als die norwegischen Frauen darzustellen. Hierbei geht es aber wahrscheinlich viel mehr um männlichen Stolz und das männliche Selbstwertgefühl: Norwegische Männer hatten bereits einen militärischen Verlust erlitten, und dass die Deutschen ihnen nun auch "ihre Frauen rauben" sollten, wäre als doppeltes Verlieren angesehen worden . Daher war es  also wichtig klarzustellen, dass die "tyskertøsene" Mädchen und Frauen waren, an denen ein norwegischer Mann nicht interessiert war, " glaubt Pedersen.

Liebe

Aber die Mythen über die "tyskerjentene", die sie als dumme, hässliche, kranke Frauen und Prostituierte betitelten, hatten laut Pedersen auf andere Weise eine große ideologische Bedeutung.

Für die Behörden war es sehr wichtig, die Beziehung zwischen norwegischen Mädchen und Deutschen als etwas anderes als Liebe zu bezeichnen. Ungeachtet, dass viele dieser Beziehungen so ernst waren, dass sie in einer Hochzeit und einer Ehe endeten.

Pedersen hat dazu Leserbeiträge, Zeitungsartikel, verschiedenste offizielle Dokumente unterschiedlicher norwegischer Komitees gelesen. Er prüfte Berichte die innerhalb den Ministerien gesendet wurden, sowie etwa 1.000 Polizeiberichte aus den Archiven der beiden staatlichen Haftlager. 

Nirgendwo ist darin das Wort "Liebe" zu finden.

 

 "Wenn man zugibt, dass diese Beziehungen ganz normale Liebesbeziehungen zwischen gewöhnlichen jungen Menschen sein könnten, hätte man das Schwarz-Weiß-Bild gegenüber den Deutschen und ihre Taten während des Krieges erschüttert. Es hätte die Beziehungen zu den Deutschen auf eine Weise normalisiert, die in dieser Nachkriegszeit völlig inakzeptabel war, so Pedersen.

 

Pedersen glaubt, es sei daher jetzt an der Zeit, die "Deutschenflittchen" und ihre Entscheidungen zu entmystifizieren.

 

 "Hunderttausende junger Männer kamen zu dieser Zeit nach Norwegen. Die meisten von ihnen waren weder Nazis noch grausame Täter. Viele waren lange Zeit am selben Ort und fühlten sich in der örtlichen Gemeinde wohl. Dass in dieser Situation Liebesbeziehungen entstanden, ist daher kaum überraschend", schließt Pedersen.


Wenn ihr mehr Interesse an diesem Thema habt, könnt ihr hier Anna Deichmanns Geschichte lesen. Sie war eine dieser "tyskertøsene" und Inspiration für einen norwegischen Roman.


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