Norwegens ältester Mann, der letzte Soldat der Valdres Schlacht (1940) und der älteste Lachsfischer der Welt.
Basierend auf einer Übersetzung von zwei norwegischen Artikeln:
Sogn Avis - 19.6.2024 - Møte med den siste soldaten (Ola Terje Hådem)
VG - 15.7.2024 - Odd (107) fiskar gratis - æresmedlem lenger enn mange trudde
Foto: Morten Jacobsen (Vik)
Er ist heute der älteste Mann Norwegens. Und definitiv der letzte Soldat, der 1940 an der Schlacht von Valdres teilnahm.
Am Abend des 20. April 1940 steht mein Vater auf dem Hof seines Hauses in Bergli. Der Hof liegt am Golvegen, der von Gol nach Leira führt (zwei Städte im Buskerud / Innlandet Kreis in Norwegen) . Es ist halbdunkel geworden. Er hört Hufeisen auf dem ausgetretenen Pfad klappern. Und er hört Wagenräder knarren. Es ist eine endlose Kolonne aus Pferden, Wagen und Soldaten. Abgesehen vom Geräusch der Hufeisen und Wagenräder ist es völlig still.
Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, den er an diesem kalten Frühlingsabend kaum erkennen kann. Dies war das erste sichtbare Zeichen des Krieges für ihn. Bisher hatte er nur vom Krieg gehört. Mit 16 Jahren versteht er nun, wozu diese Kolonne aus Pferden und Soldaten da ist. Sie ziehen das Tal hinunter, um die Deutschen aufzuhalten, die sich immer weiter ins Landesinnere vorkämpfen.
Von Gol nach Leira
Insgesamt 6.000 Mann wurden wenige Tage nach Kriegsausbruch im Indre Sogn (Bezeichnung der Gemeinden und Landgebiete rund um den inneren Teil des Sognefjords) mobilisiert und sollten sich in Bømoen bei Voss treffen. Dort erhielten sie Gewehre, Uniformen und weitere Ausrüstung von Kragh Jørgensen (Das Krag-Jørgensen-Gewehr ist ein Gewehr, das von Kapitän Ole Krag und dem Büchsenmacher Erik Jørgensen bei Kongsberg Waffenfabrik entworfen wurde und von 1894 bis 1940 als norwegisches Armeegewehr diente.) Mehrere Kompanien wurden dort bestmöglich ausgerüstet. Anschließend fuhren 4.500 von ihnen mit dem Zug von Voss nach Gol.
Einige von ihnen zogen weiter durch das Hallingdal, andere über den Berg nach Valdres. Meistens gingen sie den gesamten Weg von Gol nach Leira und das Tal südlich hinunter zu Fuß.
Einer der Männer in dieser oder einer der früheren Kolonnen am selben Tag war der damals 23-jährige Odd Borlaug aus Feios im Indre Sogn.
Ein sanfter Mann
Das ist jetzt 85 Jahre her. Jetzt ist Odd Norwegens ältester Mann. Am 31. März dieses Jahres wurde er 108 Jahre alt. (Anmerkung: Beim Schreiben des Artikels in 2024 war Odd noch 107 Jahre)
Er ist ein sanfter Mann, der mich (Ola Terje Hådem) in seinem Pflegeheim in Vik i Sogn begrüßt. Er lebt dort seit etwa zehn Jahren. Ein paar Mal pro Woche lässt er sich das Abendessen nach Hause liefern, aber ansonsten kümmert er sich selbst um seine anderen Mahlzeiten und den Rest.
Gar nicht schlecht für sein Alter!
Ich stelle mich als Ola aus Valdres vor. Und er zitiert sofort die erste Zeile des Ola-Liedes (Ein Lied von Anders Underdal)
Er sitzt in seinem Sessel, trägt eine sommerliche Hose. Seine Sehkraft ist nach einer starken Netzhautverkalkung im Auge sehr gemindert.
Die härteste Schlacht
Aber er kann gerade noch Textnachrichten auf seinem Handy lesen, wenn er es direkt vor sein Gesicht hält. Sein Gehör ist nur leicht eingeschränkt, und es ist nicht schwer, Antworten auf alle meine Fragen zu bekommen.
Manche Namen in Valdres sind etwas schwer zu finden, aber es ist auch 84 Jahre her, dass er hier war. In einer chaotischen Zeit, die er am liebsten für immer vergessen würde.
Die härtesten Schlachten in Valdres wurden außerhalb von Bagn (Stadt im Innlandet Kreis) geschlagen. Obwohl die norwegischen Streitkräfte kaum Verteidigungsmöglichkeiten hatten, mussten die deutschen Truppen dort aufgeben und sich zurückziehen. Es war wahrscheinlich die erfolgreichste Verteidigungsleistung der norwegischen Streitkräfte während des gesamten Krieges.
Die Deutschen zogen sich zurück und erreichten Hønefoss. Bei einem erneuten Versuch, Valdres einzunehmen, versuchten sie es über Dokka.
Am Randsfjorden blieben sowohl die deutschen als auch die norwegischen Truppen eine Weile. Um herauszufinden, wo sich die norwegischen Soldaten versteckt hatten, versuchten die Deutschen, auf dem Eis des Randsfjords Figuren aufzustellen, erzählt er. Dies geschah in der Hoffnung, dass die Norweger anfangen würden, auf diese Figuren zu schießen um so ihr Versteck preiszugeben. Doch die Norweger ließen sich nicht täuschen, sagt er lächelnd.
Wir sind Kameraden!
Odd gehörte zum 2. Bataillon des Infanterieregiments Nr. 10 (IR 10). Teile davon waren am 21. und 22. April 1940 an der Kronborgbrücke im Einsatz. Und hier erhielt Odd wahrscheinlich seine Feuertaufe. Die Kronborgbrücke liegt wenige Kilometer östlich von Odnes, nahe Vestrumsbygda.
Sein gesamtes Bataillon kämpfte am 23. und 24. April auch an der Høljarastbrücke. Am 28. April kämpften sie dann in Aurdal, teilweise durch Vestringsbygde und schließlich am 30. April westlich von Ulnes. Die restlichen norwegischen Streitkräfte zogen sich auf die Ostseite des Tals zurück, d. h. über Leira und Fagernes.
Doch die deutschen Streitkräfte waren zu schwer aufzuhalten. Bei Føsei (Fosheim) in Røn mussten sich die norwegischen Truppen den deutschen ergeben. Sowohl die deutschen als auch die norwegischen Soldaten wurden dort in gewisser Weise zu Brüdern. – „Dann haben wir zusammen Friedenspfeife geraucht“, sagt Odd mit einem breiten Lächeln. Die Norweger bekamen Zigaretten von den Deutschen, die ihnen nun auf die Schulter klopfen und sagen: „Wir sind Kameraden!“
17. Mai 1940
Während schwerer Kämpfe irgendwo in Vestre Slidre rief einer der norwegischen Soldaten: „Der Hauptmann hätte wirklich hier sein sollen!“ Ihnen war wahrscheinlich nicht bewußt, dass der Kommandant selbst mitten im Kugelhagel bei ihnen war. Hauptmann Riiber Mohm hörte dies. Er stand von seinem Posten auf und rief mit klarer und deutlicher Stimme: „Der Hauptmann ist hier!“
Danach wurden die norwegischen Soldaten nach Fagernes getrieben und dort versammelt.
Am 1. Mai 1940 endete das Soldatenleben dann für Odd und den Rest des Bataillons. Sie machten sich allmählich auf den Heimweg und waren am 17. Mai wieder in Sogn.
Odd hatte großes Glück: Er wurde nicht verwundet, wie viele seiner Kameraden. Insgesamt fielen bei den Kämpfen in Valdres etwa 46 Norweger und rund 240 weitere verwundet. Das Regiment, das die Hauptstreitmacht auf deutscher Seite bildete, hatte 157 Tote und rund 360 Verwundete zu beklagen. Darüber hinaus wurden mehrere Zivilisten verwundet oder getötet.
Genau 83 Jahre nach den Kämpfen in Vestringsbygde, am 28. April des Jahres 2023, wurde ihm von den Streitkräften die Verdienstmedaille der Armee verliehen.
Er ist der letzte überlebende norwegische Soldat des Zweiten Weltkriegs. Für diejenigen, die ihm diese wohlverdiente Auszeichnung verleihen durften, war es zugleich ein Zeichen der Verbundenheit.
Ein 16 Kilo Lachs
Ich frage Odd, ob er nach diesen Erlebnissen viele Albträume hatte.
„Ja, wahrscheinlich hatte ich diese in den ersten Nachkriegsjahren, aber nicht viele später“, sagt er.
Ich ihn mich auch, ob er in all den Schlachten, an denen er teilnahm, jemanden getötet hatte. Aber davon weiß er nichts.
„Es wurde so viel geschossen, dass niemand wusste, wer auf wen schoss. Ich weiß es daher auch nicht“. Und am besten ist es wohl, es nicht zu wissen.
Er machte 1943 seinen Autoführerschein und fuhr bis zu seinem 93. Lebensjahr. Damals war es seine schlechte Sehkraft, die ihm das Fahren erschwerte.
Aber mit seinem Elektromobil fährt er immer noch durch die Gegend und nicht zuletzt zum Kai, um Lachse zu angeln. Mit 99 Jahren kaufte er sich eine neue Angelausrüstung für 10.000 Kronen.
Er wurde gefragt, ob er das nicht für zu teuer hielte.
„Nein, das ist eine Investition in die Zukunft“, antwortete der begeisterte Lachsfischer sanft.
Und sein Rekordlachs ist schlichtweg gewaltig: Sein größter Lachs wiegt fast 16 Kilo!
Nach dem Krieg war es ein ganz normales Arbeitsleben: erst viele Jahre auf dem Bau, vor allem in Årdal, und dann 25 Jahre mit eigener Taxilizenz in Vik in Sogn. Odd wurde vor sechs Jahren Witwer. Neben seinen beiden Kindern gab es fünf Enkel und zwölf Urenkel.
Ich frage mich, was ihm eine so gute Gesundheit und ein so langes Leben beschert hat.
– Ja, es muss der Gamalost sein (ein proteinreicher, norwegischer Sauermilchkäse mit Wurzeln, die bis in die Wikingerzeit zurückreichen), sagt er mit einem breiten Lächeln.
Passende Antworten und ein Lächeln sind für Odd eine Leichtigkeit. Er lebt in dem Dorf, in dem es die einzige Gamalost Produktion Norwegens gibt. Und Gamalost: Den isst er jeden Tag. Eine spezielle Variante sei es, die Käsescheiben mit etwas Sirup (anstelle von Marmelade) zu bestreichen, sagt er.
Er verfolgt noch immer Sport, insbesondere Biathlon und Fußball. Als ich ihn frage, wie es der Fußballmannschaft in Sogndal geht, ist er völlig auf dem Laufenden. Er erklärt, wo sie nach der ersten und zweiten Runde der diesjährigen Serie in der Tabelle standen und auf welcher Position sie sich jetzt befinden.
Als Dankeschön für das Treffen mit Odd schenke ich ihm eine Flasche Rotwein.
– Ja, ich glaube, den hebe ich mir für einen besonderen Anlass auf, sagt er.
– Oh, morgen hast du bestimmt Gelegenheit dazu.
Ein "Heute" oder "Morgen" ist nämlich mit 107 Jahren schon ein großer Anlass, denke ich.
Und er stimmt zu und strahlt erneut über das ganze Gesicht.
Danke für deinen Einsatz, Odd, und danke für das Gespräch!
Und ein Hoch auf dein langes und erfülltes Leben!
Odd Borlaug (107) st der Veteran aller Veteranen in der Sportfischer-Community. Eigentlich macht ihm das Gespräch mit den Jugendlichen genauso viel Spaß wie das Bekommen eines Schnullers.
Sowohl Sonntag- als auch Montagnachmittag war er wieder mit der Angelrute unterwegs. An seinem festen Platz an der Mündung des Flusses „Vikja“ in Vik i Sogn ist Odd mit seinem Elektrorollstuhl leicht zu erkennen.
Dort stellt sich Norwegens ältester Mann auf bevor er den Köder endlich in den Fluss wirft. Sein Traum ist es, etwas Ähnlich riesiges wie vor sechs Jahren herauszukurbeln.
Das ist es
Am 31. Juli 2018 – mitten am helllichten Morgen – fischte Borlaug (damals 101) nämlich einen 15,8 Kilogramm schweren Lachs aus dem Fluß.
Weder Sonntag, Montag noch in diesem Sommer – für Odd gab es anscheinend keine Zeit für Mittagsschlaf.
„Das Wichtigste ist der gesellige Aspekt. Das ist es“, sagt Borlaug in seinem breiten Sogn Dialekt.
Der 108-Jährige stammt aus Feios in Sogn.
"Aber in den letzten Jahren habe ich in einem Altenheim im Stadtzentrum von Vik gelebt."
Von dort bewältigt er die kilometerlange Strecke hinunter zum Fischerdorf und dem Fluß Vikja problemlos mit seinem Elektrorollstuhl.
Das Ehrenmitglied
Das Jagd- und Fischereiteam hatte wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass Odd so lange fischen würde. Er erhielt im Rahmen seiner Ehrenmitgliedschaft im Alter von 85 Jahren einen kostenlosen Angelschein, einen der so lange er lebt, gültig ist.
„Dieses Jahr kostet ein Angelschein für ein ganzes Jahr eigentlich 4.000 Kronen. Es ist also klar, dass Odd ein paar Kronen gespart hat. Aber das ist völlig fair. Er ist der beste Botschafter, den wir uns wünschen können“, grinst Morten Jacobsen, Vorsitzender des Vik-Jagd- und Fischereivereins.
Er erinnert uns daran, dass der 107-Jährige eigentlich erst spät mit dem Angeln begann – mit 73 Jahren. Aber Odd war als Fischer wirklich ein Spätzünder.
„Es ist einfach unglaublich. Wir haben die ältesten Lachsfischer der Welt. Er hat Vik und die Lachsfischerei in Vikja bekannt gemacht“, sagt Jacobsen begeistert.
In die Zukunft investieren
Er glaubt, dass die späte Ankunft der Lachse aus dem Fjord der Grund dafür ist, dass Odd Borlaug und andere Fischer in Vikja in diesem Sommer nur spärlich Fische gefangen haben.
– Aber jetzt wurden Lachse gesehen, sagt Jacobsen, der 2018 für Odd Borlaugs Rekordlachs geräuchert hat.
– Wie hat er geschmeckt, Odd?
– Er war absolut großartig, antwortet Borlaug – und freut sich darauf, nach Osen zu fahren, um ein wenig zu angeln, nachdem sich das Wetter am Montagnachmittag aufzuklaren scheint.
Nach dem großen Fang 2018 kaufte sich Borlaug neue Angelausrüstung, um seinem Hobby etwas öfter nachgehen zu können. Und er wolle ein wenig in die Zukunft investieren, sagte er – damals 101 Jahre alt.
Borlaug vs. Beckham
Etwas weiter im Sognefjord – nicht weit von Vikja – liegt der weitaus bekanntere Lachsfluss Lærdalselva.
Dort erhielt der berühmte ehemalige Fußballspieler David Beckham Anfang des Sommers 2024 die Erlaubnis zum Angeln – unter großem Medieninteresse.
– Hätte Beckham nicht genauso gut in Vikja angeln können?
– Beckham?! Wir haben Odd. Auf ihn sind wir viel stolzer, antwortet der Leiter des Jagd- und Angelteams Morten.
Katharina Esch
geboren in Demmin - living in Balestrand
Demmin 1945 I GDR
The Loom Film documentary producer
Trude Teige
stories from WW2 Norway
writes in German and English
@mikkelstante
@balestrandantikk